Der Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) und seine geplante Weiterentwicklung

Mit dem neuen Faire-Kassenwahl Gesetz (GKV-FKG) möchte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht nur die bundesweite Öffnung zahlreicher Krankenkassen erreichen, sondern auch verschiedene Änderungen im Bereich des Finanzausgleichs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen durchsetzen. Zum großen Teil betrifft das Gesetz daher den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, kurz: Morbi-RSA.

 

Inhalt

Was ist der Morbi-RSA?

Hinter dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich verbirgt sich ein Verfahren zur Umverteilung finanzieller Mittel im System der gesetzlichen Krankenversicherung.

Eingeführt wurde der Risikostrukturausgleich im Jahr 1994, um einen fairen Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen zu gewährleisten. Im Hinblick auf das ab 1996 geltende freie Kassenwahlrecht wurde befürchtet, die Kassen würden verstärkt um Versicherte mit „guten Risiken“ werden, also junge und gesunde Personen, um ihre Ausgaben möglichst gering zu halten. Dies würde sich zu Lasten von Menschen mit „schlechten Risiken“, beispielsweise älteren, kranken Personen und Geringverdienern auswirken (Risikoselektion).

Um einer ungleichen Versichertenstruktur entgegenzuwirken, wird seit 1994 ein Risikostrukturausgleich durchgeführt. Im Rahmen dieser finanziellen Umverteilung wurden zunächst nur Merkmale wie Alter und Geschlecht der Versicherten, Art des Krankengeldanspruchs und Bezug einer Erwerbsminderungsrente berücksichtigt.
Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wird seit dessen Inkrafttreten am 1. Januar 2009 auch die Morbidität der Versicherten in den Finanzausgleich einbezogen.

Entsprechend dieser Kriterien, also in Abhängigkeit von der individuellen Risikostruktur, erhalten die Krankenkassen Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds zu ihrer Finanzierung. Kassen mit vielen älteren und kranken Versicherten erhalten folglich höhere Zuweisungen, als Krankenkassen mit jungen Versicherten ohne chronische Erkrankungen.

Geplante Änderungen durch das GKV-FKG

Der Morbi-RSA steht seit seiner Einführung in der Kritik. Insbesondere die sich bietenden Manipulationsanreize, beispielsweise durch das Stellen von schweren Diagnosen, sowie die Über- und Unterdeckung, falls Krankenkassen deutlich mehr bzw. weniger Geld zur Versorgung der Versicherten erhalten, als sie tatsächlich benötigen, wurden häufig bemängelt, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen führen würden. Mit der Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs durch das GKV-FKG sollen diese Probleme nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums behoben werden.

Vollmodell

Bisher wird nicht jede Krankheit beim Risikostrukturausgleich berücksichtigt, sondern die maßgebliche Morbidität wird anhand von 80 jährlich festgelegten, kostenintensiven Erkrankungen ermittelt. Der Referentenentwurf sieht stattdessen vor, künftig das gesamte Krankheitsspektrum zugrunde zu legen und damit ein Vollmodell einzuführen. Die hinzukommenden Krankheiten sollen in hierarchischen Morbiditätsgruppen (HMG) eingeteilt werden. Zuschläge sollen die Kassen aber nur erhalten, wenn Erkrankung in dem Jahr nach der Diagnosestellung Folgekosten verursacht.

Anpassung der Morbiditätszuschläge

In einem Sondergutachten zu den Wirkungen des Morbi-RSA wurde festgestellt, dass die Kassen für junge, sehr morbide Versicherte häufig zu niedrige Zuweisungen erhalten, während bei älteren, multimorbiden Versicherten die Zuweisungen meist höher sind als die Kosten. Mit altersspezifisch ausdifferenzierten Morbiditätszuschlägen (sog. Altersinteraktionsterme) soll den je nach Alter unterschiedlichen Behandlungskosten für Krankheiten Rechnung getragen werden. Hierzu sollen die Morbiditätszuschläge entsprechend angepasst werden.

Streichung der DMP-Programmkostenpauschale und Erwerbsminderungsgruppen

Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten bisher eine Programmkostenpauschale in Höhe von ca. 145 Euro, wenn einer ihrer Versicherten an einem Disease-Management-Programme (DMP) teilnimmt. Dabei handelt es sich um strukturierte Behandlungsprogramme, um die Versorgungsqualität chronisch Kranker zu verbessern.
Diese Programmkostenpauschale, u.a. für den Dokumentationsaufwand, soll nun abgeschafft werden, ebenso wie die Erwerbsminderung als Risikokriterium im RSA. Hierdurch soll die Gleichbehandlung aller Versicherten gewährleistet werden.

Individuelle Arzneimittelrabatt

Daneben sieht der Gesetzesentwurf vor, statt eines pauschalen durchschnittlichen Arzneimittelrabattfaktors die individuellen Arzneimittelrabatte beim Risikostrukturausgleich einzubeziehen und auf diese Weise nur die tatsächlichen Ausgaben für Medikamente einzuberechnen.

Regionalkomponente und Risikopool

Nach Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums soll der Risikostrukturausgleich um ein Merkmal erweitert werden. Bei der neuen Regionalkomponente sollen regionale Faktoren berücksichtigt werden, die statistisch gesehen starken Einfluss auf die regionalen Deckungsbeitragsunterschiede haben. Als Beispiel nennt das BMG den Anteil Versicherter in einer Region, die ambulant pflegebedürftig sind. Angebotsorientierte Variablen, wie die Krankenhausbettenzahl, sollen hingegen keine Rolle spielen.

Neu eingeführt werden soll außerdem ein Risikopool, mit dessen Hilfe Hochkostenfälle solidarisch finanziert werden und die finanzielle Belastung einzelner Krankenkassen verringert werden sollen. Aus dem Risikopool sollen Krankenkassen für jeden Versicherten 80 Prozent der Leistungsausgaben, die über 100.000 Euro im Jahr betragen, erstattet werden. Beim Risikostrukturausgleich sollen die erhaltenen Aufwendungen anschließend nicht einberechnet werden.

Manipulationsbremse

Überschreiten hierarchisierte Morbiditätsgruppen eine festgelegte Steigerungsrate, sollen diese bei der Berechnung der Risikozuschläge ausgeschlossen werden. Infolgedessen würde keine Krankenkasse Zuweisungen für die betroffenen hierarchisierten Morbiditätsgruppen erhalten. Zweck dieser Regelung ist es, Manipulationen bei der Diagnosekodierung zu vermeiden.

Zuweisungen bei fachärztlicher Behandlung

Derzeit erhalten Krankenkassen einen Zuschlag unabhängig davon, ob Diagnosen von einem Haus- oder Facharzt gestellt wurden, obwohl die hausärztliche Versorgung meist niedrigere Kosten verursacht. Durch das geplante Hausarzt-HMG-Modell sollen diese unterschiedlichen Ausgaben einkalkuliert werden. Je nachdem, ob ein Haus- oder Facharzt die Diagnose gestellt hat, würden unterschiedliche Zuschläge gezahlt werden.

Vorsorge-Pauschale

Als weitere Maßnahme sieht das Faire-Kassenwahl-Gesetz die Einführung einer Vorsorge-Pauschale vor. Auf diese Weise sollen Krankenkassen zur Förderung von Vorsorgemaßnahmen motiviert werden. Hat ein Versicherter eine Präventionsleistung in Anspruch genommen, soll die Kasse anschließend eine Pauschale hierfür erhalten.

Weiterentwicklung des RSA

Zusätzlich soll der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des RSA mindestens alle vier Jahre eine Evaluation zum RSA durchzuführen.